Gefährliche Honigjagd in Nepal

Mit Bienen um die Welt

Bienenstöcke am Felsen

Honig ist seit jeher ein begehrtes Gut: Schon Höhlenmalereien, die auf die Zeit zwischen 10.000 und 6.000 v. Chr. datiert werden, zeigen wie Steinzeitmenschen ein Bienennest ausrauben, um an den süßen Honig zu kommen. Mit der Sesshaftwerdung der Menschen entwickelte sich auch die Bienenhaltung, die für beide Seiten Vorteile mit sich brachte: Während die Biene Schutz und Pflege erhielt, kam der Mensch im Gegenzug einfacher an den leckeren Honig. 
Über die Zeit hinweg haben sich unter den verschiedensten natürlichen Gegebenheiten und kulturellen Hintergründen einzigartige Imkereipraktiken entwickelt, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Wie wird Bienenhaltung also in anderen Ländern betrieben? Altbewährte Imkerraditionen, neue Trends bei der Bienenhaltung, spannende Kuriositäten oder sogar lebensgefährliche Honigernten - wir nehmen Dich mit auf eine spannende Reise rund um die Welt. Heute: Nepal.

Länderfakt

An den steilen Felsen Nepals ist die Honigjagd besonders gefährlich.

Steckbrief

Land: Nepal
Region: Himalaya
Klima: stark abhängig von den Höhenstufen
Heimische Honigbiene: Kliffhonigbiene (Apis laboriosa), Zwerghonigbiene (Apis florea), Östliche Honigbiene (Apis cerana)
Trachtpflanzen: Rhododendron
“Biene” in der Landessprache: मौरी (Maurī)
“Honig” in der Landessprache: मह (Maha)

Landschaft in Nepal

Die klimatischen Besonderheiten Nepals

In Nepal vereinen sich gleich vier unterschiedliche Klimazonen miteinander, denn das Land am Fuße des Himalaya-Gebirges unterscheidet sich je nach Höhenregion stark in Klima und Vegetation. So unterteilt man Nepal abhängig von der Höhenlage in die alpine Region (über 4.000 Meter Höhe), die kalte gemäßigte Zone (2.000 bis 4.000 Meter Höhe), die warme gemäßigte Zone (1.000 bis 2.000 Meter Höhe) und die subtropische Zone (unter 1.000 Meter Höhe). Im Hochgebirge kann es also durchaus passieren, dass alle 10 km ein völlig anderes Klima vorherrschend ist. Außerdem hat das kleine Land im Süden Asiens nicht nur vier, sondern gleich fünf Jahreszeiten: Neben Frühling, Sommer, Herbst und Winter gibt es auch die Regenzeit, die von Juli bis September stattfindet. Für einige Honigsammler vom Volk der Gurung, das sich am Fuße des Himalayas niedergelassen hat, beginnt zwischen Frühjahr und Sommer eine weitere aufregende Zeit: die Honigjagd.

Honigjagd an der Felswand

Die Honigjäger Nepals haben es auf das flüssige Gold der Kliffhonigbiene abgesehen, die mit 3 cm die größte Honigbienenart der Welt ist. Um an den kostbaren Honig zu gelangen, müssen sie einige Anstrengungen auf sich nehmen. Zuerst muss der richtige Zeitpunkt gefunden werden, denn nur an bestimmten Tagen im Jahr darf das süße Gold geerntet werden. Setzt man sich darüber hinweg, so glauben die Gurung, so zieht man den Zorn der Götter auf sich.
Ist es dann soweit, wird die Ausrüstung gepackt und mit den Vorbereitungen für die Honigjagd begonnen. Für die gefährliche Mission brauchen die Männer nur eine Strickleiter aus Holz und Bambusblättern und ein Bambusstock, der mit einer scharfen Klinge präpariert ist. Angekommen am Kliff, werden zuerst die Schuhe abgelegt: Die Felswand gilt als heilig und wird ausschließlich barfuß betreten. Als weiteres Ritual zur Besänftigung der Götter werden Opfergaben, wie Reis, Früchte oder Kräuter, dargebracht.

Kliffhonigbienen

Kliffhonigbiene

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Begleitet von religiösen Gesängen der Männer wird nun die Leiter von den Felsvorsprüngen heruntergelassen. Der Mann, der die Felswände hinabklettert und anschließend die Waben schneidet, wird Perengge genannt. Bis auf ein paar Tücher vor seinem Gesicht trägt er keine Schutzkleidung. Schutz vor den aufgebrachten Felsenbienen, deren Gift neunmal so stark ist wie das der bei uns heimischen Westlichen Honigbiene ist kaum vorhanden. Deshalb kann das gefährliche Unterfangen nicht nur wegen der Höhe, sondern auch aufgrund der Aggressivität der Bienen tödlich enden. Während die Männer am Boden mehrere Feuer entfachen, deren Rauch die Bienen ablenken soll, versucht der Honigjäger, die riesigen Honigwaben von den Felsen abzuschneiden. Die aufgebrachten Bienen, die ihn umgeben, erschweren diese Arbeit ungemein. Hat er es schließlich doch geschafft, einige vor Honig triefende Waben in seinem Korb nach unten zu transportieren, macht sich große Erleichterung bei den Männern breit: Die Honigjagd war erfolgreich.

Nester der Kliffhonigbiene am Felsen

Aber nicht immer haben die Männer so viel Glück. Wurde der Zeitpunkt für die Honigernte zu früh gewählt, haben die Bienen oft noch nicht genügend Pollen und Nektar eingetragen, um ihre Waben mit Honig zu füllen. Eine echte Enttäuschung für die Männer der Gurung - denn für viele ist das flüssige Gold die einzige Einnahmequelle. 

Schattenseiten der Honigjagd

Zurück von der erfolgreichen Honigjagd wird beim Volksstamm der Gurung ein ganz besonderes Ritual durchgeführt: Im Bewusstsein, dass durch ihr Handeln an diesem Tag viele Bienen sterben mussten, reichen sie eine mit Getreidesud gefüllte Schüssel herum, in die sie Blätter getunkt haben. Diese Blätter legen sie sich anschließend an die Stirn und werfen sie danach zu Boden. Dieses Ritual stellt eine Entschuldigung dar und soll die Männer von ihren Sünden reinigen. Bei dieser uralten Tradition der Honigernte werden durch das Abschneiden der Waben zahlreiche Bienen getötet - und der Bestand der Kliffhonigbiene im Himalaya ist stark gefährdet. Für die Jäger des Himalayas ist die Honigjagd ein zweischneidiges Schwert, denn den Stammesmitgliedern der Gurung liegen sowohl die Bienen als auch ihre uralte Tradition am Herzen.

Ein Beitrag von Sarah von nearBees
vom 17.01.2023
aus der Serie „Mit Bienen um die Welt“