Mantras und Gesänge bei der indonesischen Honigjagd

Mit Bienen um die Welt

Großes Nest der Riesenhonigbiene am Baum

Honig ist seit jeher ein begehrtes Gut: Schon Höhlenmalereien, die auf die Zeit zwischen 10.000 und 6.000 v. Chr. datiert werden, zeigen wie Steinzeitmenschen ein Bienennest ausrauben, um an den süßen Honig zu kommen. Mit der Sesshaftwerdung der Menschen entwickelte sich auch die Bienenhaltung, die für beide Seiten Vorteile mit sich brachte: Während die Biene Schutz und Pflege erhielt, kam der Mensch im Gegenzug einfacher an den leckeren Honig. 
Über die Zeit hinweg haben sich unter den verschiedensten natürlichen Gegebenheiten und kulturellen Hintergründen einzigartige Imkereipraktiken entwickelt, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Wie wird Bienenhaltung also in anderen Ländern betrieben? Altbewährte Imkerraditionen, neue Trends bei der Bienenhaltung, spannende Kuriositäten oder sogar lebensgefährliche Honigernten - wir nehmen Dich mit auf eine spannende Reise rund um die Welt. Heute: Indonesien.

Länderfakt

In Indonesien wird die Honigjagd von Mantras & Gesängen begleitet.

Steckbrief

Land: Indonesien
Region: Borneo (Nationalpark Danau Sentarum)
Klima: tropisch
Heimische Honigbienen: Riesenhonigbiene (Apis dorsata), Östliche Honigbiene (Apis cerana), Zwerghonigbiene (Apis florea)
Trachtpflanzen: Lianen, Wasserpflanzen, Tualang Baum
“Biene” in der Landessprache: lebah
“Honig” in der Landessprache: sayang

Wald in Indonesien mit Nestern der Riesenhonigbiene

Naturparadies auf der indonesischen Insel Borneo

Vielfältig ist Indonesien allemal: Zahlreiche Vulkaninseln, abwechslungsreiche Flora und Fauna sowie wunderschöne Strände locken jährlich zahlreiche Touristen in das Urlaubsparadies am Indischen Ozean. Auf Borneo, der drittgrößten Insel des Landes, herrschen das ganze Jahr über tropische Temperaturen um die 27°C und eine hohe Luftfeuchtigkeit von über 80 Prozent. Die Landschaft der Insel ist geprägt vom tropischen Regenwald, üppige Mangrovenwälder sowie Sumpf- und Seenlandschaften, die während der Regenzeit von Oktober bis Februar entstehen. Doch nicht nur das Wasser hält zu dieser Zeit in den Regenwäldern und in der Seenlandschaft Danau Sentarum Einzug, sondern auch eine ganz besondere Bienenart: die Riesenhonigbiene (Apis dorsata). An den Blüten der Lianen und Wasserpflanzen findet das beeindruckende Insekt genug Nahrung und nistet meist auf einem der Äste des gewaltigen Tualang-Baumes, der eine Höhe von bis zu 76 m erreichen kann.

Vorbereitung auf die Honigjagd

Die Honigjagd auf Borneo besteht aus fünf Etappen, die allesamt von Mantras und Gesängen begleitet werden. Die meist humorvollen Lieder werden von Generation zu Generation weitergegeben und sollen den Schutzgeist der Baumriesen, der als Hüter der wilden Bienen gilt, besänftigen. Denn die Honigjagd ist ein gefährliches Unterfangen und die richtige Vorbereitung deshalb umso wichtiger. Aus diesem Grund machen sich die Honigjäger bereits einige Tage vor der Ernte auf den Weg zu den Bienenbäumen. An diesen nistet die Riesenhonigbiene und bringt waagrecht Waben an den Ästen des Baumes an. Ihre Waben können bis zu einem Meter groß sein! Besonders praktisch für die Honigjäger: Die Riesenhonigbiene zieht sich zwar während Trockenzeit, wenn sie nicht mehr ausreichend Nektarquellen findet, zurück in höhere Lagen - kommt aber in der Regenzeit immer wieder zurück und besiedelt ihr altes Nest. Die Bienenbäume befinden sich daher auf schon seit mehreren Generationen in Familienbesitz.

Während der Regenzeit steht ein Großteil der Wege unter Wasser, sodass sich die Männer mit Booten durch die Waldlandschaft des Nationalparks Danau Sentarum bewegen. Sind sie an den ausgewählten Bäumen angekommen, beginnt mit dem Gerüstbau die erste Etappe der Honigjagd. Mit einem Seil werden in Abständen von 1,5 bis 2 Metern Holzpflöcke aus Bambus um den Baum gebunden. Anschließend wird an deren Enden eine lange Stange aus Rattan befestigt, die den Honigjägern beim Aufstieg den nötigen Halt bieten soll. Um nicht schon vor der Honigernte die Aufmerksamkeit der Bienen auf sich zu ziehen, endet diese provisorische Leiter einige Meter unter dem Wabenbau. 

Honigjagd im Dunkeln

Bevor die Honigjagd beginnen kann, müssen die Männer aber auf die ersten Neumondnächte warten. Die Dunkelheit dieser Nächte ist für die Honigjäger extrem wichtig, da die Bienen dann weniger aggressiv sind. Auf ihrem selbstgebauten Gerüst machen sich meist ein bis zwei Gruppenmitglieder, ohne jegliche Schutzkleidung, auf den Weg zu den begehrten Honigwaben. Ihre Ausrüstung besteht lediglich aus einer Stirnlampe, Rauchbündeln, einem Korb, der ihnen um die Hüften gebunden wird, und einem Holzmesser. Von einem Stahlmesser, so glaubt man, könnte die Rinde des Baumes beschädigt werden und die Bienen würden nie wieder dorthin zurückkehren.

Riesenhonigbiene am Baum

Nach dem mühsamen Aufstieg beginnt mit dem Vertreiben der Bienen durch Rauchbündel der zweite Teilabschnitt der Honigjagd, der mit dem Abschneiden des Honigteils der Waben sogleich in die dritte Etappe übergeht. Dabei müssen die Jäger schnell sein, denn die Stiche der Riesenhonigbiene sind enorm schmerzhaft. Zügig füllen die Kletterer ihre Körbe mit den Honigwaben und schließen damit die vierte Etappe der (erfolgreichen) Jagd ab. Mithilfe eines Seils werden die Körbe voll mit dem flüssigen Gold zum Rest der Gruppe nach unten transportiert und auch die Honigjäger sehen zu, dass sie schnell wieder festen Boden unter den Füßen haben. Mit dem Abbau der Leiter endet der fünfte und letzte Abschnitt der Honigjagd.
Anschließend werden die Honigwaben ausgepresst und fair unter den Besitzern der Lalaus aufgeteilt. Meist ist die Ernte sehr üppig, denn allein an einem der riesigen Bäume können bis zu 20 Nester der Riesenhonigbienen zu finden sein.

Tikung - Neue Formen der Bienenhaltung in Indonesien

Neben der vorgestellten traditionellen Technik der Honigjagd, die sich seit der Steinzeit kaum verändert hat, haben die Menschen in der Region Danau Sentarum noch eine weitere Form der Bienenhaltung entwickelt. Die ist weniger gefährlich, soll aber trotzdem nachhaltig sein. Beim “Tikung” werden Holzbalken an Bäumen in 3 bis 4 Meter Höhe befestigt, an denen sich die Bienenvölker ansiedeln sollen. Die Honigernte findet bei Tageslicht statt, was insgesamt schonender für die Bienen ist. Wie bei der Lalau-Methode auch wird darauf geachtet, dass nur die mit Honig gefüllten Wabenstücke abgeschnitten werden. So siedeln sich die Bienen mit hoher Wahrscheinlichkeit in den folgenden Jahren wieder an den Bäumen an und ihr Bestand geht nicht zurück. 
Diese Methode findet insbesondere in der Seenregion großen Anklang. Die Menschen dort haben sich zum lokalen Imkerverbund ADPS (Asosiasi Periau Danau Sentarum) zusammengeschlossen, der sich um die Vermarktung des Honigs in ganz Indonesien kümmert und die Tikung-Methode unterstützt. Um die Ressourcenentnahme aus der Natur zu regulieren und die regionale Imkerei damit schonender zu gestalten, hat der Verein dazu einen Pflichtenkatalog entwickelt. Das kommt sowohl Mensch als auch Biene zugute: Neben der Erhaltung der Ökosysteme haben auch die Menschen mit dem Verkauf des Honigs die Chance auf ein gutes Einkommen.

Ein Beitrag von Sarah von nearBees
vom 09.08.2022
aus der Serie „Mit Bienen um die Welt“