Der Bienengeist

Oder: Die Frage nach der Intelligenz der Biene

Artikel aus dem Zeitmagazin

Bislang wurden Bienen nur als instinktgesteuerte Roboter gesehen, die sich nach einem bestimmten Muster mechanisch verhalten. Denn wenn wir tierische Intelligenz bestimmen oder vergleichen, gehen wir stets von unserer eigenen Intelligenz aus. Doch alle Versuche, die Intelligenz anderer Tierarten miteinander zu vergleichen sind gescheitert. Müssen wir unsere Ansichten überdenken?
Vor 100 Jahren wurde Tieren kein eigenständiges Denken zugestanden, sie waren lediglich Trieb- oder Instinktgesteuert. Jeder Hundebesitzer des 20. Jahrhunderts sieht das mit Sicherheit anders. Unsere liebenswerten Vierbeiner können sich in unsere Gefühlslage hineinversetzten, kuscheln sich tröstend an uns, empfinden Mitleid oder Trauer und verhalten sich oft so, als würden sie alles verstehen was wir sagen – wenn sie denn wollen.
Die Wissenschaft von heute ist von ihrer Denkweise abgewichen und forscht intensiv an der Intelligenz anderer Säugetiere und Vögel. Doch Insekten werden weiterhin als Wesen ohne Geist und Verstand gesehen. Ist es vorstellbar, dass ein Organismus mit einem Gehirn so groß wie ein Samenkorn ein eigenständiges Denken und ein Bewusstsein des Ichs entwickeln kann?
Dieser Frage geht Prof. Dr. Randolf Menzel nach, Leiter des Neurobiologischen Instituts der Freien Universität Berlin. In aktuellen Ausgabe des ZEIT Magazins interviewt Stefan Klein im Rahmen der Wissenschaftsgespräche Menzel zu diesem Thema. Menzel gilt seit langem als einer der führenden Neurobiologen Deutschlands und beschäftigt sich mit dem Nervensystem der Bienen.
In Versuchen fand er heraus, dass Bienen schnell lernen, intelligent und zuverlässig sind. Es ist möglich Bienen auf bestimmte Gerüche zu konditionieren und sie als „Spürhunde“ für unterschiedliche Themenbereiche zu verwenden. Menzel arbeitete mit einer Biene zusammen, die binnen von drei Wochen 25.000 Entscheidungen traf. In seinem Versuch durchflogen Bienen nacheinander ein bestimmtes Farbmuster. Wenn sie die richtigen Entscheidungen trafen, wurden sie mit Zuckerwasser belohnt. Dieses Denksystem funktioniert mit Farben, Muster und sogar Gerüche.
Das zeigt, dass Bienen zu systemischen und abstraktem Denken fähig sind. Dieser Schluss muss laut der, in der Tierpsychologie üblichen, Terminologie geschlossen werden. In einem zweiten Versuch belohnte er Bienen hinter einem dritten Ziel mit Zuckerwasser. Selbst wenn er die Ziele näher oder weiter voneinander entfernt aufstellte, flogen sie stets das dritte Ziel an. Diese Erkenntnis lässt den Rückschluss zu, dass Bienen zählen können und eine Vorstellung von Mengen besitzen – wenn auch nur bis drei. Dennoch hätte der erfahrene Neurobiologe, der seit fünf Jahren am Gehirn von Bienen und ihrem Denkschemata forscht, nie von einem „Bienengeist“ gesprochen, einem Ich-Bewusstsein von Bienen.
Das änderte sich schlagartig als bei Navigationsuntersuchungen die Futterquelle der Bienen versiegte und sie zurückflogen. Ihre Artgenossen teilten ihnen eine zweite Futterquelle mit Hilfe des Schwänzeltanzes mit. Bienen, die es nochmals bei der alten Futterquelle versuchen wollten und diese leer vorfanden, flogen auf kürzestem Weg weiter zur Zweiten. Sie erinnerten sich nicht nur an die Information ihrer Kolleginnen aus dem Bienenstock sondern nutzten diese Informationen um an einem neuen Ort ihren Arbeitsprozess sinnvoll zu optimieren. Menzel ist nach dieser Erkenntnis davon überzeugt, dass Bienen - wie wir Menschen - eine innere Landkarte besitzen und unterschiedliche Informationen miteinander verbinden können. Solche Entscheidungen treffen wir jeden Tag auf unserem Nachhauseweg, wenn wir abwägen, welchen Weg wir nehmen könnten und welcher uns wohl am schnellsten ans Ziel bringen wird. Das zeigt, dass Bienen wie Tiere eine innere Welt besitzen und sich durch den Austausch von Wissen gegenseitig beeinflussen.
Bienen sind also schlauer, als wir bisher dachten. Man könnte sie sogar, auf ihre Art und Weise, als intelligent betrachten. Ob Bienen Träumen weiß Menzel nicht. Der Mensch verarbeitet im Schlaf gelerntes und zuckt in Traumphasen unter den Liedern mit seinen Augen. Menzels Trainingsbienen schliefen länger als ihre Kolleginnen und zuckten im Schlaf mit ihren Fühlern. Ob sie dabei von Blumen, Nektar und Honig von Nebenan träumten oder ob es einfach nur Zufall war, werden wir wohl nie erfahren.

Ein Beitrag von Michael von nearBees
vom 08.01.2015