Agroforstwirtschaft

Die vergessene Landwirtschaft

Ausblick über eine Apfelwiese

Schon lange Zeit sorgt die industrielle Landwirtschaft für die Lebensmittelversorgung in vielen Teilen der Welt, so auch in Deutschland. Um höhere Erträge zu erzielen, intensivierte sich der Ackerbau weltweit, um die wachsende Bevölkerung ernähren zu können. Jedoch wirkt sich diese Nutzung auf viele Weisen negativ auf Natur und Umwelt aus: Insektenarten verzeichnen alarmierende Rückgänge, Naturräume werden zurückgedrängt und hohe Stickstoffeinträge in Gewässern sind nur einige Auswirkungen, die bisher nachgewiesen wurden. Verantwortlich dafür sind aber nicht die Landwirte, sondern fehlende staatliche Reglementierungen in der Landwirtschaft. Da Lebensmittel möglichst günstig sein sollen, müssen sie ihre Kosten für die Produktion minimal halten. Doch wer in Supermärkten etwas kauft, zahlt die Kosten für Natur- und Artenschutz nicht mit und so müssen diese letztlich von unserer Natur getragen werden. Um dem entgegenzuwirken, wird in der Agrarwissenschaft nach einer regenerativen Landnutzung gesucht, die sowohl stabile Erträge als auch Natur- und Artenschutz verbindet.

Agroforstsysteme für mehr Vielfalt

Einen vielversprechenden Ansatz bietet dabei die Agroforstwirtschaft. Es handelt sich um ein landwirtschaftliches Produktionssystem, dessen Anbaumethoden Landwirte schon früher nutzten und mittlerweile “wiederentdeckt” haben. Relikte dieser Zeit sind unter anderem die Wallhecken aus verschiedenen Gehölzen in Norddeutschland, die sich malerisch durch die Landschaft ziehen. Diese Hecken in den Agroforstsystemen verfolgen den Gedanken, negative Einflüsse, wie Erosion, Austrocknung des Bodens oder Schädlinge, auf Erträge und die Gesundheit des Bodens zu verringern. Das Ziel dabei ist immer ähnlich: Vielfalt schaffen durch Sträucher und Bäume, die mit Wiesen, Weiden oder einjährigen Kulturen wie Raps oder Weizen kombiniert und bei Bedarf durch Viehhaltung ergänzt werden. Auf diese Weise kann eine Vielzahl an Problemen in der Landwirtschaft gelöst werden.

Der Wald auf dem Acker

Der Anbau im Agroforst gestaltet sich generell recht simpel. Dazu wird eine Fläche auf dem Acker in unterschiedliche Parzellen aufgeteilt. Darauf wachsen häufig einjährige Kulturen und dazwischen stehen Reihen mit Sträuchern und Bäumen. Die Reihen der Ackerkulturen haben i.d.R. eine Breite von 20 m oder mehr, damit das Bearbeiten des Ackers mit Traktoren und anderen landwirtschaftlichen Maschinen möglich ist. Die Breite der Baum- und Strauchreihen ist abhängig von den gepflanzten Gehölzen. Häufig sind das Pappeln, Weiden, schnellwachsende Sträucher wie Haselnuss, Beeren- und Wildobst oder auch Obstbäume. Sie dienen der Holzgewinnung für Holzkohle, Brennholz oder Möbelstücke oder die Früchte der Obst- und Beerengehölze werden im Hofladen oder an den Großmarkt verkauft.
Holz, Obst und Beeren stellen in der Agroforstwirtschaft neben den Kulturen auf dem Acker also eine zusätzliche Einnahmequelle dar.

Win-Win-Situation durch Agroforst

Neben der Kombination aus Gehölzen und Ackerkulturen kann Tierhaltung eine wichtige Rolle spielen. Die Gehölze bieten Hühnern durch ihr Blätterdach Schutz vor Raubvögeln und spenden Schatten. Forscher konnten bereits herausfinden, dass durch die positiven Effekte in Agroforstsystemen die Artenvielfalt um einiges höher ist als in der konventionellen Landwirtschaft und Insekten, Vögel & Co. wieder mehr Lebensräume vorfinden, die heutzutage fast komplett verschwunden sind.

Ein Huhn auf einem Feld

So siedeln sich viele Tierarten wie der Wiedehopf oder auch selten gewordene Wildbienen an, die auf diese verloren gegangene Kulturlandschaft oft angewiesen sind. Für Imker sind Agroforstsysteme ebenso interessant, da sie von der Blütenfülle der Obst- und Beerengehölze profitieren und Honig ernten können. Durch die große Flugweite der Honigbienen von durchschnittlich 3-5 km können sie so selbst lange Gehölzreihen sehr gut bestäuben. Das hat Vorteile für Imker, Bienen und Landwirte - letztere können durch eine gute Bestäubung mehr Obst ernten. Ein Agroforstsystem schafft also eine Win-Win-Situation für Landwirte und Tiere.

Die Natur nachahmen 

Die Liste an Vorteilen durch die vielfältigen Agroforstsysteme ist lang. Bäume und Sträucher haben dabei die meisten positiven Effekte auf Tiere, Pflanzen und andere Organismen. Sie verringern starke Winde und Sonneneinstrahlung, das Austrocknen des Bodens durch unkontrollierte Wasserverdunstung und Erosion bei Starkregen-Ereignissen. Die Gehölzreihen sind dabei wie eine Mauer zwischen den Ackerflächen, die so vor intensiver Mittagssonne und Winden von zwei Seiten geschützt sind. Zusätzlich sind vor allem Bäume und Sträucher für das Bodenleben sehr gut, da sie viel Humus aufbauen, Wasser durch ihre tiefen Wurzeln besser im Boden halten und es nachhaltig speichern. Durch den höheren Humusaufbau reichert sich mehr Kohlenstoff im Boden an und wirkt sich so auch positiv auf das Klima aus. Durch eine Kombination der Ackerflächen mit Tierhaltung werden die Reihen zusätzlich durch die Exkremente der Tiere gedüngt. Im Grunde versuchen Agroforstsysteme, natürliche Abläufe nachzuahmen und so zu gestalten, dass der Anbau von Lebensmittel und der Natur- und Klimaschutz berücksichtigt werden. Viele Vorteile entstehen dabei nur “nebenbei” und zeigen sich meist schon nach wenigen Jahren. 

Grenzen in der Agroforstwirtschaft

Die Kombination von Ackerkulturen, Weiden oder Wiesen mit Gehölzen wie beispielsweise Pappeln als Holzlieferant bringt also viele Vorteile, die sich positiv auf das Ökosystem und die Erträge auswirken. Zu beachten ist, dass ein Agroforstsystem anfänglich mit hohen Kosten verbunden ist. Vor allem neu gepflanzte Gehölze brauchen mehr Pflege und wegen ihres noch schwachen Wurzelsystems muss ausreichend gewässert werden. Durch ihr langsames Wachstum muss ein Landwirt auch langfristig planen und berücksichtigen, dass er Holz aus den Sträuchern und Bäumen erst nach einigen Jahren ernten kann. Im Gegensatz zur konventionellen Bewirtschaftung, in der Landwirte von EU-Subventionen unterstützt werden, gibt es für Flächen aus Ackerkulturen und Gehölzen jedoch keine Fördergelder. Das bremst die Entwicklung in Deutschland zusätzlich aus.

Entscheidend für ein funktionierendes Agroforstsystem ist wie in der konventionellen Landwirtschaft vor allem eine gute Planung der Flächen aus Bäumen und Sträuchern in Kombination mit Ackerkulturen. Die Grenzen liegen letztlich auch in Kreativität und dem Einfallsreichtum des Einzelnen.

Umdenken gefordert 

Ein Wandel in der konventionellen Landwirtschaft hin zu nachhaltigeren Anbaumethoden, wie beispielsweise dem Biolandbau, ist schon viele Jahrzehnte zu erkennen. Es hat jedoch lange gedauert, bis er in Deutschland akzeptiert wurde. Ähnlich spielt es sich im Moment in der Agroforstwirtschaft ab. Auch wenn viele der Vorteile auf Natur, Umwelt und Erträge schon länger bekannt sind, hat sich bisher nur wenig in der Landwirtschaft und Politik geändert. Viele Landwirte, die auf die Agroforstwirtschaft umsteigen wollen, sind häufig unentschlossen, da es in Deutschland bisher nur wenige Großprojekte gibt, die Erfolg und Wirtschaftlichkeit belegen. Viele Forscher sind bereits der Meinung, dass sich die Landwirtschaft in Deutschland hin zu nachhaltigen Anbausystemen verändern muss und die Agroforstwirtschaft dabei eine Schlüsselrolle spielen könnte.

Ein Beitrag von Tobias von nearBees
vom 10.10.2023